MANV/MASCAL/AMOK/TERROR

Die Frage kommt in der letzten Zeit doch recht häufig: wie sind wir in Rettungsdienst und Klinik auf diese Szenarien vorbereitet? 
Gegenfrage: kann man darauf überhaupt vorbereitet sein?

Ein Massenanfall von Verletzten z.B. nach einem Unfall auf der Autobahn ist für die meisten Beschäftigten im Rettungsdienst und in der Klinik emotional nicht unbedingt deutlich belastender als andere Einsätze, mit Sicherheit aber schon stressiger als ein Polytrauma einer Einzelperson oder die Behandlung eines Krampfanfalls. Man will (wie immer) keinen Fehler machen, v.a. aber niemanden übersehen oder falsch einschätzen. 

Die dazu vorgesehenen Instrumentarien kriegen wir im Laufe der notfallmedizinischen Ausbildung an die Hand und die meisten haben zumindest mal an einer Übung eines MANV teilnehmen können.

Ein verbreitetes Problem ist, dass viele Klinikbetreiber die Kosten für eine entsprechende Ausbildung und teilweise auch für das Equipment scheuen, da es unwahrscheinlich scheint, dieses irgendwann auch mal einsetzen zu müssen. 

Die Nachbetrachtungen der Terroranschläge in Paris haben aber beispielsweise gezeigt, dass die Kliniken im Vergleich zum Rettungsdienst nicht nur verhältnismäßig schlecht vorbereitet sondern v.a. auch unzureichend ausgestattet waren (fehlende Ausrüstung mit Tourniquets).

Das theoretische Wissen über das Verhalten und die Behandlung bei einem wie auch immer begründeten MANV reicht aber leider nicht aus, es erfordert Übung und letzlich führt erst die ständige Wiederholung zum Ziel. Gerade in solch belastenden Situationen fallen wir eben nicht auf das Level unserer Vorstellung sondern auf das unseres Trainings zurück. Letzteres wird bei den meisten von uns leider gegen Null gehen.

Es hat durchaus einen Grund, dass z.B. Fußball-Bundesliga-Mannschaften mit eigentlich bereits deutlich talentierteren Spielern häufiger trainieren als Kreisliga- oder Hobbymannschaften. Aber wann trainieren WIR eigentlich den Ernstfall? Reicht die tägliche Arbeit dafür aus? Für die Kreisklasse vielleicht... 

Nun soll dieser Beitrag nicht die fehlende Ausbildung, Ausstattung, etc. bemängeln, auf dieser Seite ist auch kaum ausreichend Platz, ein entsprechend umfassendes Wissen zu vermitteln, geschweigedenn erhöht nun ausgerechnet ein Blogbeitrag das Trainingslevel. Es soll hier also auch nur ein Einstieg in die Materie vermittelt werden und vielleicht die Motivation gesteigert werden, entsprechende Kurse selber einmal zu b(es)uchen. Man braucht nunmal das Training, um in so einer extremen Situation die Ruhe zu bewahren und zu funktionieren wie wir es z.B. im Rahmen einer Reanimation gewohnt sind. Da Reanimationen im Klinikalltag aber relativ häufig vorkommen, ist auch ein gewisses Verständnis für das Üben der Algorithmen vorhanden, bei MANV sieht das außerhalb der behördlichen Beübungen leider schon ganz anders aus.

Der Grundsatz lautet "train as you fight!"

Zumindest sollte man sich vorab schon einmal gedanklich mit der Thematik befassen und sich auch schon einmal einen groben Handlungsplan zurechtlegen, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Mithilfe kleinster Tools und Skills ist man dann doch schon ein wenig besser gerüstet.

Allem voran steht wie bei jedem Einsatz natürlich immer erst einmal die Eigensicherung und als ganz grober genereller Einsatzplan möchten wir an dieser Stelle das ACT-Schema vorstellen.

"...better be prepared to ACT than to feel helpless"

ACT steht für Actions, Communication, Treatment 

Unter "ACTIONS" werden prinzipiell 3 verschiedene Handlungsoptionen für den ersten Moment zusammengefasst. Kommt man also als Betroffener in eine Amok- oder gar Terrorlage gilt es, diese überhaupt als solche zu erkennen und sich möglichst aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich zu entfernen (REALISE(ACCEPT)/RUN/MOVE). Als nächstes sollte man v.a. wenn ein Verlassen des Bereiches nicht möglich ist Schutz suchen (SHELTER/HIDE/LOCKDOWN/BARRICADE) und erst in der letzten Konsequenz steht die Selbstverteidigung oder gar der Kampf zur Diskussion.

COMMUNICATION ist in gerade in Notfallsituationen äußerst wichtig und wie schon in einem unserer Artikel nachzulesen war, nicht immer ganz einfach. 

Die Grundlage der Kommunikation stellt die Lageerkundung dar, anschließend muss man die eigene Lage beurteilen, einen Entschluss fassen und diesen anderen mitteilen, sie führen und aktivieren/motivieren. Auch die Benachrichtigung der Polizei, der Feuerwehr / des Rettungsdienstes oder die Rückmeldung an die Leitstelle z.B. fällt unter diesen Punkt und ist von hoher Relevanz! (OBSERVE/INTERACT/GUIDE/ACTIVATE)

Zuletzt erfolgt die Behandlung "TREAT" nach den bekannten Schemata BLEEDING/AIRWAY/BREATHING (BAB) oder das bei Einsatzkräften verkürzte (C)ABCDE-Schema, das in der entsprechenden Abfolge ja bekanntlich eine Priorität vorgibt und bei den meisten Einheiten initial nur "CABC" beinhaltet.

Das ACT-Schema ist zunächst nur eine einfache Handlungsorientierung, die im Grunde aber alles wichtige beinhaltet.

Für die eigentliche TRIAGE gibt es diverse verschiedene Ansätze, sei es nun PRIOR, mSTART oder tacSTART um nur einige zu nennen. Hier muss jeder selbst wissen, welchen Ablauf man nun für sich für geeignet hält oder sich eben danach richten, was das eigene Krankenhaus oder die Hilfsorganisation vorgibt.

Je einfacher das Schema, desto besser! Die teilweise sehr umfangreichen und komplizierten Algorithmen sind schlecht zu merken und nur durch regelmäßiges Training zu verinnerlichen. Unserer Erfahrung nach kann man ein vereinfachtes Schema aber bereits innerhalb weniger Minuten auswendig lernen und sich vielleicht als Bild oder pdf auf dem Smartphone sichern und somit schnell verfügbar machen. Wenn man erst einen mehrseitigen Artikel lesen muss, ist das in der Praxis nur wenig hilfreich.

Es müssen also kurze Checklisten her, die einen handlungsfähig halten oder machen. Hierzu wurde erneut das ABCDE-Schema herangezogen und zu einem Einsatzplan umstrukturiert:

ABCDE MANV - notfallmedizin.blog

Die Triage erfolgt z.B. nach dem mSTART-Algorithmus und ENDET sobald man eine Frage mit JA beantworten kann. Der Patient wird nicht ROTER wenn er zu dem verlegten Atemweg noch eine unstillbare Blutung hat.

Triage - notfallmedizin.blog

Einen leicht modifizierten Ansatz gibt es bei tacSTART, hier erfolgt die Zuordnung in die Sichtungskategorie "schwarz" nach dem Freimachen der Atemwege (z.B. Wendl, Seitenlage)

tacSTART - notfallmedizin.blog

Die üblichen Sichtungskategorien haben wir zuletzt auch noch einmal aufgeführt:

Sichtungskategorien - notfallmedizin.blog

Es wird teilweise zwischen blau und schwarz differenziert, üblich ist aber eine Zuordnung in 4 Kategorien. 

Auf diesen und weitere Aspekte wie Sekundäranschlag, den Unterschied zwischen Amok und Terror, die Strukturierung eines Einsatzortes, mit Raumordnung etc. SALT, MASS und SICK usw. soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden, ggf. folgen hierzu noch weitere Artikel.


Literatur:
Neitzel, Ladehof Taktische Medizin, 2.Auflage
Med Klin Intensivmed Notfmed 2016 · 111:565–566
Notfall Rettungsmed 2016 · 19:77–85
Notfall Rettungsmed 2016 · 19:122–128
Intensivmed 44:452–459 (2007)
Notfall Rettungsmed 2016 · 19:396–400
Med Klin Intensivmed Notfmed 2015 · 110:27–36
Med Klin Intensivmed Notfmed 2015 · 110:37–48
Med Klin Intensivmed Notfmed 2015 · 110:9–14
Notfall Rettungsmed 2016 · 19:108–114
Notfall Rettungsmed 2015 · [Suppl 2]: 18:S23–S31
Unfallchirurg 2016 · 119:532–540
Notfall Rettungsmed 2014 · 17:415–419