Das Wissen über Hypothermie und deren Behandlung hält sich in unseren Breitengraden aber doch in Grenzen. Vom "Bergungstod" hat jeder schon mal gehört, aber wenn man nachfragt, bekommt man teilweise recht abenteuerliche Antworten zu hören, was das ist und wie man es vermeiden kann. Wir wollen hier also einen kurzen Überblick geben, was in der kalten Jahreszeit zu beachten ist, denn tatsächlich kann ein unvorsichtiges Vorgehen zu ungewollten Komplikationen führen.
Zunächst einmal gibt es verschiedene Einteilungen in Schweregrade oder Stadien, diese sind von Autor zu Autor allerdings ein wenig unterschiedlich. Einige favorisieren eine Abstufung in 3, andere in 4 Schweregrade.
Sinkt die Körperkerntemperatur (KKT) unbeabsichtigt unter 35°C spricht man zunächst einmal von akzidenteller Hypothermie. Das Gute daran: pro 1°C nimmt der Sauerstoffbedarf um etwa 6% ab oder anders gesagt, die Hypoxietoleranz ist höher. Dies macht man sich ja zum Beispiel bei der Postreanimationsbehandlung zunutze.
Nun entsteht die Hypothermie nicht nur bei Minusgraden, sondern kann durch verschiedene Umstände getriggert werden. Daher ist das "E" im allgemein bekannten ABCDE-Schema ja auch so wichtig und der Wärmeerhalt sollte auch in wärmeren Jahreszeiten nicht vernachlässigt werden: wer schon mal regungslos ein paar Minuten auf Asphalt lag, kann dies vermutlich bestätigen.
Gut, es ist kalt, der Patient zittert - schlimm? Ja. Warum der Anästhesist nach einer Narkose das sogenannte "Shivering" vermeiden will: das Zittern steigert die Wärmeproduktion - aber dadurch auch den Sauerstoffbedarf.
Wenn der Patient also nicht mehr zittert ist das gut? Prinzipiell schon, wenn die Körperkerntemperatur aber auf etwa 32°C sinkt, sistiert das Zittern von selbst und ist somit alles andere als ungefährlich.
Die Schweizer Einteilung für Hypothermie sieht folgende Stadien vor:
Stadium I: (35-32°C)
Ist der Patient wach und ansprechbar, das Bewusstsein also voll erhalten, kann man von Stadium I ausgehen. Hier liegt in der Regel eine Körpertemperatur von noch oberhalb 34°C vor, es kommt zu Muskelzittern, Schmerzen, einem Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks sowie zur Hyperventilation. Die Therapie besteht aus dem Verbringen des Patienten in eine warme Umgebung, dem Anreichen warmer (gezuckerter) Getränke und sofern möglich der aktiven Bewegung.
Stadium II: (32-28°C)
Unterhalb von 34°C kommt es langsam zu Erschöpfung, Adynamie und Zentralisation. Die Patienten in diesem Stadium sind üblicherweise somnolent und tendenziell bradykard und hypoton. Es kommt zudem zu einem verminderten Schmerzempfinden, das Zittern sistiert, es kommt zu EKG-Veränderungen wie QRS-Verbreiterung, QT-Verlängerung sowie die Ausprägung einer J-Welle (zwischen QRS und ST-Strecke) und Arrhythmien.
Neben der EKG-Dokumentation gilt es hier, Bewegungen möglichst zu vermeiden. Der Patient ist liegend zu lagern, zu immobilisieren und isolieren. Eine minimal-invasive Erwärmung mittels Wärmedecken und ggf. warmen Infusionen ist indiziert.
Die Zentralisation (Stadium II) dient der Organprotektion, die Extremitäten haben eine deutlich ausgeprägtere Ischämietoleranz. Dringt das verbliebene deutlich kältere Blut aus den Extremitäten in den Körperkern kommt es zum sogenannten Afterdrop. Die Körperkerntemperatur sinkt hierdurch unter Umständen deutlich und verschlechtert somit Zustand und Prognose.
Stadium III: (28-24°C)
Bei weniger als 28°C KKT sind die Patienten komatös, Reflexe sind nicht mehr auslösbar, die Pupillen sind weit (Mydriasis), die Herzfrequenz nimmt weiter ab, es kommt zu Arrhythmien und auch ein Herz-Kreislauf-Stillstand ist möglich. Zusätzlich zu Stadium II besteht die Therapie in der Atemwegssicherung und bei instabilem Kreislauf der Wiedererwärmung mittels Herz-Lungen-Maschine (HLM) oder der extrakorporalen Membran-Oxygenierung (ECMO). Je nach vorliegendem Stadium sind nach Möglichkeit entsprechende Zentren anzufahren.
Stadium IV: (<24°C)
Unterhalb von 24°C treten regelhaft Apnoe und Kammerflimmern auf. In einzelnen Case-Reports wird allerdings auch von Vitalzeichen bei Patienten mit 17°C KKT berichtet. Anderenfalls steht selbstverständlich die Indikation für eine CPR und bis zu 3 initialen Defibrillationen. Abgesehen von der präklinisch ggf. bestehenden Gefahr für die Rettungskräfte kann eine Reanimationsbehandlung unterlassen oder beendet werden wenn der gesamte Körper gefroren ist. Bei Lawinenopfern mit Asystolie, verlegten Atemwegen und einer Verschüttungsdauer > 35min ist ein Unterlassen oder Abbrechen ebenso zu vertreten auch wenn das neurologische Outcome unterkühlter reanimierter Patienten prinzipiell sehr gut ist. Ansonsten gilt der Grundsatz, den dann auch fast jeder wieder kennt:
nobody's dead until warm and dead
Wie oben bereits erwähnt konnten in Einzelfällen auch (deutlich) unterhalb von 24°C noch Lebenszeichen festgestellt werden, daher gilt es bei solchen Patienten besonders genau auf Vitalzeichen zu achten, da sonst u.U. fälschlicherweise der Tod bescheinigt wird. Aufgrund der ausgeprägten Hypothermie können die Vitalfunktionen ausgesprochen schwierig zu erkennen sein. Daher besteht der Konsens, dass der Tod am Notfallort nur festgestellt werden darf, sofern neben den bereits genannten Umständen eine mit dem Leben nicht vereinbare Verletzung vorliegt: Dekapitation, Durchtrennung des Rumpfes, gesamter Körper gefroren, verkohlt oder verwest.
Eine weitere Falle gilt es v.a. bei Traumapatienten zu erkennen: ein Absinken der Körperkerntemperatur von nur 1°C führt bereits zur Dysfunktion von Thrombozyten und der plasmatischen Gerinnung. Das Standard-Labor mit Quick/INR und PTT erfasst eh schon nur 5% der Gerinnungsstörungen, ein ROTEM erwärmt das Blut auf 37°C und gibt dementsprechend kälteinduzierte Koagulopathien nicht wider!
Gemäß der Gesetze von van’t Hoff und Arrhenius führt eine Temperaturabnahme um 1°C zu einer Aktivitätsabnahme der Gerinnungsproteasen um bis zu 10%. Eine KKT von 33°C entspricht selbst bei normalen Faktorengehalt funktionell einem Mangel von 50%!
Den Stellenwert des Wärmeerhaltes spiegelt nicht zuletzt die "letale Trias" wider: kommen Azidose, Hypothermie und Koagulopathie zusammen ist die Prognose mehr als ungünstig. Somit sind in Rettungsdienst, der Notaufnahme, v.a. aber auch perioperativ entsprechende Vorkehrungen zu treffen, die leider immer noch vielerorts vernachlässigt werden.
Literatur:
Resuscitation. 2014 Sep;85(9):1204-11
Wien klin Mag 2014 · 17:4–12
MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (2)
Notfall Rettungsmed 2013 · 16:114–120
Anaesthesist 2013 · 62:624–631
Anaesthesist 2005 · 54:1209–1214