CRM & Human Factors

„Medicine used to be simple, ineffective and relatively safe. 
Now it is complex, effective and potentially dangerous.“ 
ChantlerC, 1999: Lancet 353:1178–1181

70% der Ursachen von Zwischenfällen sowohl in der Medizin als auch in der Luftfahrt liegen im Bereich der „HUMAN FACTORS“

Daher haben wir hier noch einmal einige der wichtigsten Fakten zusammengetragen:

Das 10-für-10-Prinzip:

Beim Auftreten von neuen Diagnosen, Problemen oder Chaos sollte das gesamte Team zu einer kurzen Unterbrechung (fast) aller Tätigkeiten aufgefordert werden, um alle Informationen für das Team zusammenzutragen, Ideen und ggf. Bedenken vorzutragen. Es wird ein Entschluss gefasst und die Ressourcen entsprechend verteilt.

CRM human factors- notfallmedizin.blog

FOR-DEC - Dynamic Decision Making (Lufthansa CRM):

CRM human factors - notfallmedizin.blog

Die 15 CRM-Leitsätze (nach Rall/Gaba)

• Kenne Deine Arbeitsumgebung.

• Antizipiere und plane voraus.

• Fordere Hilfe an, lieber früh als spät.

• Übernimm die Führungsrolle oder sei ein gutes Teammitglied mit Beharrlichkeit.

• Verteile die Arbeitsbelastung (10-für-10-Prinzip)

• Mobilisiere alle verfügbaren Ressourcen (Personen und Technik).

• Kommuniziere sicher und effektiv – sag was Dich bewegt.

• Beachte und verwende alle vorhandenen Informationen.

• Verhindere und erkenne Fixierungsfehler.

• Habe Zweifel und überprüfe genau („double check“, nie etwas annehmen).

• Verwende Merkhilfen und schlage nach.

• Reevaluiere die Situation immer wieder (10-für-10-Prinzip)

• Achte auf gute Teamarbeit – andere unterstützen und sich koordinieren.

• Lenke deine Aufmerksamkeit bewusst.

• Setze Prioritäten dynamisch.


Fehlermanagement mit POKA-YOKE:

• Fehler sind nicht zu verhindern, da Menschen nicht fehlerfrei arbeiten können

• Schäden hingegen schon, da Fehler erkannt und Vorkehrungen zur Prävention eines Schadens getroffen werden können.


Vor allem in der Notfallmedizin, die per se zeitkritisch ist, hat man oft mit völlig unklaren Situationen, nicht kommunikationsfähigen Patienten in einer fremden Umgebung und nicht zuletzt mit meist unbekannten Teammitgliedern zu tun. Ebenso wie die Luftfahrt oder Nuklearindustrie ist sie also ein Hochrisikobereich: 

Medizinische Behandlungsfehler zählen zu den 10 häufigsten Todesursachen weltweit.

Studien belegen, dass Maßnahmen zur Fehlerreduktion dann am Besten greifen, wenn sie auf das System und nicht auf das Individuum abzielen: ein Risiko- oder Fehlermanagement sollte also immer auf ein „WARUM ist das passiert“ und nicht auf ein „WER war das“ abzielen. Eine sogenannte „name blame shame“-Kultur ist zudem nicht sonderlich begünstigend im Hinblick darauf, dass Fehler auch offengelegt und zugegeben werden.

Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass es sich bei Zwischenfällen oftmals nicht um mangelnde „technical skills“, also tatsächlich fehlendes Können (oder Wissen) handelte, sondern dass Fehler als Verkettung mehrerer Ursachen entstehen und es zumeist an „soft skills“ wie z.B. Kommunikation und Organisation fehlte.

Hier findet ihr nun eine Übersicht über v.a. in der Notfallmedizin häufige Fehler:


Alarmierung

Eine Alarmierung / Alarmgrenze sollte nicht so nierigschwellig gewählt sein, dass sie zunehmend ignoriert wird.


Interferenz-/Stroop-Effekt

Inkongruente Informationen erhöhen sowohl die Reaktionszeit als auch die Fehlerrate.


Bottleneck-Effekt

Das Sprachverständnis leidet wenn gleichzeitig eine psychomotorische Tätigkeit ausgeführt wird. Bei Weitergabe wichtiger Informationen sollte die Aufmerksam allein auf diese gerichtet sein. 

z.B. Patienten erst überlagern, dann übergeben, 10-for-10 usw.


Fixierungsfehler

In Simulationen konnte nachgewiesen werden, dass bei Vorgabe einer plausiblen aber falschen Arbeitsdiagnose z.B. seitengleiche Auskultationsbefunde als unterschiedlich wahrgenommen wurden - weil man es so erwartete.


Übergabe / Schichtwechsel

Als typische Fehlerquelle konnten neben einer unruhigen Umgebung und Störungen von Extern auch unstrukturiertes Vorgehen identifiziert werden. Abhilfe: Übergabeprotokolle, Checklisten


Technik-/Industrie-Design

Vielen kognitiven Fehlern kann begegnet werden, wenn das Design in der einfachsten Form vorliegt.

Farbcodierung, Größenunterschiede, Vermeidung gleichklingender Namen.


Kommunikation

Sprachliche Äußerung in CPR-Situationen erwiesen sich nur in 56% als hörbar und in 44% als verständlich. Zudem verschwanden Aufforderungen ohne Adressat im Raum, da jedes Teammitglied dachte, ein anderer macht‘s. Weiterhin war zu beobachten, dass die Informationsweitergabe im Verlauf abnimmt und dem Team somit ggf. kritische Informationen fehlten.

„Talking to the room“ kann somit in zweierlei Hinsicht beurteilt werden: positiv beim Verteilen von Informationen (10-for-10), um das gesamte Team mit einzubeziehen (laute und deutlich Wiedergabe von Befunden an das Team z.B. „Lunge seitengleich belüftet, ,Rekap‘ prompt, Pupillen isokor), negativ bei Arbeitsaufträgen ohne Adressat („Wir brauchen hier nochmal eine BGA“) 

Team-Mitglieder fühlen sich durch eine offene Kommunikation mit einbezogen, können Befunde und Entscheidungen besser nachvollziehen, ihre eigene Erfahrung einbringen und auch entsprechend korrigierend eingreifen. Teams, die sich in stressigen Situationen permanent austauschen, sind bei der Bewältigung dieser Situationen erfolgreicher.

 

Closed-loop Kommunikation

Nach Aufforderung an ein Team-Mitglied, sollte die vollständige Bestätigung des Arbeitsauftrages erfolgen, um dem Sender ein Feedback zu geben, dass der Empfänger die Aufforderung nicht nur gehört sondern auch verstanden hat und somit ein „Gib mal 50“ - „Alles klar“ nicht im Desaster endet.


Risky-shift Phänomen

Ein Team entscheidet in der Regel risikofreudiger als eine Einzelperson, da sich auch die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt.


Es konnten 3 Faktoren identifiziert werden, die Sicherheitskultur im Krankenhaus beeinflussen:

„management support“

ein geeignetes Reporting-System (z.B.CIRS)

adäquate Ressourcen


Um sich des Potenzials eines Teams auch bedienen zu können ist eine Grundvoraussetzung, dass sämtliche Teammitglieder auch über alle verfügbaren Fakten und Optionen informiert sind. Im Rahmen des GIHRE-Projektes(Group Interaction In High Risk Environment) wurden folgende Regeln dazu formuliert.

• frühzeitig Informationen einholen & austauschen

• Transparenz erhöhen, (Tages)Ziele formulieren

• ausgeprägtes Führungsverhalten in komplexen Situationen, nicht bei Routinetätigkeiten

• Trennung von Führung und Umsetzung in akuten Situationen a Reduktion von Multitasking

• Sprachliche Stärkung des Teamgedankens („Wir“)

• Probleme ansprechen

• explizite Kommunikation v.a. unerfahrener Teammitglieder

• Koordination des Team je nach Situation
implizit in der Routine, explizit in Akutsituationen

• Interaktion: Perspektiven anderer Teammitglieder einnehmen, Überlegungen laut aussprechen

• SOPs, Vorgaben, Regeln als Hilfestellung mit genügend Freiraum

• Team-Briefings zur Entwicklung eines gemeinsamen mentalen Modells

• offene Gesprächsatmosphäre, explizite Kommunikation an Teamerfahrung anpassen

• neue Mitarbeiter ermutigen und bestärken, De-Briefings zur (Re-)Evaluierung

• Give a verbal nod / Closing the loop

• einfache Sprache verwenden, W-Fragen vermeiden

• Reden ist gut, noch mehr reden besser

• Kommunikation in der Muttersprache

• das Sprachverständnis wird bei parallel ausgeführter Tätigkeit gehemmt

• laute und deutliche Kommunikation + close the loop

• Etablieren eines gemeinsamem Kommunikationsstils

• Gruppeninteraktionsprozesse berücksichtigen


Die (risikobereinigte) Mortalitätsrate kann um 50% gesenkt werden, wenn Simulations-Trainings durchgeführt werden, die die Etablierung von Checklisten und die Einführung von Briefings/Debriefings beinhalten!


Literatur:
Notfall Rettungsmed 2012 · 15:9–15
M. St.Pierre et al, Notfallmanagement, DOI 10.1007/978-3-642-16881-9